Kunstwissenschaft

Untersuchung jeder einzelnen Erscheinung
Wirkung der Erscheinungen aufeinander
Schlüsse, aus den beiden vorhergegangenen Teilen

Kandinsky, Wassily (1908). Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. Bauhausbücher. Schriftleitung: Walter Gropius, L. Moholy-Ny. Band 9. München: Albert Langen. S.14.

In dieser Schrift werden zwei Grundelemente behandelt, die zum allerersten Anfang jedes Werkes in der Malerei dienen, ohne die dieser Anfang nicht möglich ist und die gleichzeitig ein erschöpfendes Material für eine selbständige Art der Malerei darstellen — Graphik.

Also muß […] mit dem Urelement der Malerei angefangen werden — mit dem Punkt.

Das Ideal jeder Forschung ist

  1. pedantische Untersuchung jeder einzelnen Erscheinung — isoliert
  2. gegenseitige Wirkung der Erscheinungen aufeinander — Zusamenstellungen,
  3. allgemeine Schlüsse, die aus den beiden vorhergegangenen Teilen zu ziehen sind.

Mein Ziel in dieser Schrift erstreckt sich nur auf die beiden ersten Teile. Für den dritten reicht das Material dieser Schrift nicht aus, und er darf auch keinesfalls übereilt werden. Die Untersuchung sollte peinlich genau, pedantisch exakt vor sich gehen. Schritt für Schritt sollte dieser ›langweilige‹ Weg gegangen werden — keine kleinste Veränderung im Wesen, in den Eigenschaften, in den Wirkungen der einzelnen Elemente dürfte dem aufmerksamen Auge entgehen. Nur auf diesem Wege einer mikroskopischen Analyse wird die Kunstwissenschaft zur umfassenden Synthese führen, die sich schließlich weit über die Grenzen der Kunst hinaus in das Gebiet der ›Einheit‹ des ›Menschlichen‹ und des ›Göttlichen‹ erstrecken wird. Dies ist schließlich das absehbare Ziel, das aber noch weit entfernt von ›heute‹ liegt.