Über das Denken

Denken
Denkendes Ich (Geist)
Gedachtes

Plotin (1884). Die Enneaden. Band 2, Berlin: Eugen Diederich. S. 193.

Ueber die Frage, dass das über das Sein Erhabene nicht denke und was das ursprünglicher und das abgeleiteter Weise Denkende sei 

Das eine denkt etwas anderes, das andere sich selbst und dies flieht schon mehr die Zweiheit. Das erstere will es gleichfalls, vermag es aber weniger; es hat wohl bei sich selbst was es sieht, jedoch als ein anderes denn jenes [es selbst]. Das andere hingegen ist nicht von seiner Substanz getrennt, sondern bei sich selbst schaut es sich selbst. Es wird also zwei, während es eins ist. Es denkt also in höherem Grade, weil es hat, und denkt ursprünglich, weil das Denkende eins und zwei sein muss. Denn wenn es nicht eins ist, so wird ein anderes das Denkende, ein anderes das Gedachte sein – es würde also nicht das ursprünglich Denkende sein, weil es, wenn es das Denken eines andern aufnimmt, nicht das ursprünglich Denkende sein wird, da es was es denkt nicht als sein eigenes hat, also auch sich selbst nicht; oder wenn es dies als sich selbst hat, damit es in eigentlichem Sinn denke, so wird das beides eins sein; es muss also beides eins sein – wenn es eins, aber nicht auch wieder zwei sein wird, so wird es nicht haben was es denkt, folglich wird es auch nicht denkend sein. Einfach also und nicht einfach muss es sein. Besser indessen möchte man dies so Geartete fassen, wenn man von der Seele aus aufsteigt; denn dort ist die Trennung leicht und man möchte das Zweifache leichter sehen. Wenn sich nun jemand ein doppeltes Licht vorstellt, die Seele entsprechend dem geringeren, das Intelligible in ihr entsprechend dem reinem, wenn er sodann das sehende Licht sich gleich dem gesehenen vorstellt, so wird er, da er es nicht mehr durch die Differenz trennen kann, dies beides als eins setzen, indem er denkt, dass es zwei waren, er es aber bereits als eins schaut; auf diese Weise wird er Denkendes und Gedachtes erhalten. Wir nun haben begrifflich aus zweien eins gemacht, jenes aber wird umgekehrt aus einem zwei sein, weil es sich als ein solches, das sich selbst zu zweien macht, denkt, oder vielmehr es ist zwei, weil es denkt, und eins, weil es sich selbst denkt.