Säkularisierung

Traditionelle Weltbilder verlieren Macht und Geltung (Mythos, Religion, Ritus, Metaphysik)
Umbildung in subjektive Glaubensmächte und Ethiken
Neue Konstruktionen leisten Kritik an der Überlieferung und Reorganisation des freigewordenen Materials der Überlieferung.

Habermas, J. (1968). Technik und Wissenschaft als "Ideologie"? Frankfurt a.M.: Edition Suhrkamp. S.71f.

Dem Rationalisierungsdruck von unten entspricht ein Rationalisierungszwang von oben, denn die herrschaftslegitimierenden und handlungsorientierenden Überlieferungen, insbesondere die kosmologischen Weltinterpretationen, büßen nach den neuen Maßstäben der Zweckrationalität ihre Verbindlichkeit ein. Das, was Max Weber Säkularisierung nannte, hat auf dieser Stufe der Verallgemeinerung drei Aspekte.
· Die traditionellen Weltbilder und Objektivationen verlieren als Mythos, als öffentliche Religion, als eingewöhnter Ritus, als rechtfertigende Metaphysik, als fraglose Tradition ihre Macht und ihre Geltung.
· Sie werden statt dessen in subjektive Glaubensmächte und Ethiken umgebildet, die die private Verbindlichkeit der modernen Wertorientierungen sichern (»Protestantische Ethik«); und
· sie werden zu Konstruktionen umgearbeitet, die beides zugleich leisten: eine Kritik der Überlieferung und eine Reorganisation des freigewordenen Materials der Überlieferung nach Prinzipien des formalen Rechtsverkehrs und des Äquivalententausches (Rationales Naturrecht).
Die brüchig gewordenen Legitimationen werden durch neue ersetzt, die einerseits aus der Kritik an der Dogmatik der überlieferten Weltinterpretationen hervorgehen und wissenschaftlichen Charakter beanspruchen, die aber andererseits Legitimationsfunktionen behalten und faktische Gewaltverhältnisse somit der Analyse wie dem öffentlichen Bewußtsein entziehen. Erst dadurch entstehen Ideologien im engeren Sinn: sie ersetzen die traditionellen Herrschaftslegitimationen, indem sie mit dem Anspruch der modernen Wissenschaft auftreten und sich aus Ideologiekritik rechtfertigen. Ideologien sind gleich ursprünglich mit Ideologiekritik. In diesem Sinne kann es vorbürgerliche »Ideologien« nicht geben.