Sprachlich vermittelte Existenz

Fühlen
Denken
Handeln

Roth, Gerhard (2001). Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt: Suhrkamp. S.186.

Hinsichtlich der Möglichkeiten, unser eigenes Handeln zu verstehen, sind wir nicht weit von diesem Split-Brain-Patienten entfernt. Wir werden massiv von unserem Unbewussten beeinflusst, ohne genau zu wissen, was dabei mit uns passiert; wir verstehen die Sprache des Unbewussten nicht. Da wir aber all unser Fühlen, Denken und Handeln vor uns selbst und insbesondere auch vor den anderen sprachlich-logisch rechtfertigen müssen, erfinden wir ständig Geschichten. Wir glauben auch in aller Regel an sie und versuchen unsere Mitmenschen von ihnen zu überzeugen. Durch diesen Zwang zur sprachlichen Legitimation vor sich und den Mitmenschen lässt sich die radikale Verbiegung und Uminterpretation bis hin zum krassen Leugnen des Offensichtlichen im Handeln erklären, die Menschen jeweils bei den anderen beobachten. Dies ist meist kein böser Wille, sondern resultiert aus der schlichten Tatsache, dass unsere bewusste, weitgehend sprachlich vermittelte Existenz nicht eine einfache Fortsetzung des Unbewussten ist, sondern eine andere Art von Existenz, nämlich eine soziale.