Begriffsschrift

Urteilsstrich
Verneinungsstrich
Allquantor

Frege, Gottlob (1879). Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens. Halle a.d. Saale: Verlag von Louis Nebert.

Das Urtheil

§ 1. Die in der allgemeinen Grössenlehre gebräuchlichen Zeichen zerfallen in zwei Arten. Die erstere umfasst die Buchstaben, von denen jeder entweder eine unbestimmt gelassene Zahl oder eine unbestimmt gelassene Funktion vertritt. Diese Unbestimmtheit macht es möglich die Buchstaben zum Ausdrucke der Allgemeingültigkeit von Sätzen zu verwenden wie in

(a + b)c = ac+ bc.

Die andere Art umfasst solche Zeichen wie +, -, √, 0, 1, 2, von denen jedes seine eigenthümliche Bedeutung hat.
Diesen Grundgedanken der Unterscheidung zweier Arten von Zeichen, der in der Grössenlehre leider nicht rein durchgeführt ist*), nehme ich auf, um ihn für das umfassessendere Gebiet des reinen Denkens überhaupt nutzbar zu machen. Alle Zeichen, die ich anwende, theile ich daher ein in solche, unter denen man sich verschiedenes vorstellen kann, und in solche die einen ganz bestimmten Sinn haben. Die ersteren sind die Buchstaben, und diese sollen hauptsächlich zum Ausdrucke der Allgemeinheit dienen. Bei aller Unbestimmtheit muss aber daran festgehalten werden, dass ein Buchstabe die Bedeutung, welche man ihm einmal gegeben hat, in demselben Zusammenhange beibehält.

§ 2. Ein Urtheil werde immer mit Hilfe des Zeichens

ausgedrückt, welches links von dem Zeichen oder der Zeichenverbindung steht, die den Inhalt des Urtheils angiebt. Wenn man den kleinen senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten fortlässt, so soll dies das Urtheil in eine blosse Vorstellungsverbindung verwandeln, von welcher der Schreibende nicht ausdrückt, ob er ihr Wahrheit zuerkenne oder nicht. […] Der wagerechte Strich, aus dem das Zeichen ⊢ gebildet ist, verbindet die darauf folgenden Zeichen zu einem Ganzen, und auf das Ganze bezieht sich die Bejahung, welche durch den senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten ausgedrückt wird. Es möge der wagerechte Strich Inhaltsstrich, der senkrechte Urtheilsstrich heissen. Der Inhalttstrich diene auch sonst dazu, irgendwelche Zeichen zu dem ganzen der darauf folgenden Zeichen in Beziehung zu setzen. Was auf den Inhalttstrich folgt, muss immer einen beurteilbaren Inhalt haben.

Die Verneinung

§ 7. Wenn an der untern Seite des Inhaltsstriches ein kleiner senkrechter Strich angebracht wird, so soll damit der Umstand ausgedrückt werden, dass der Inhalt nicht stattfinde. So bedeutet z. B.

⎮⨪ A :

„A findet nicht statt“. Ich nenne diesen kleinen senkrechten Strich den Verneinungsstrich. Der rechts vom Verneinungsstriche befindliche Theil des wagerechten Striches ist der Inhaltsstrich von A, der links vom Verneinungsstriche befindliche Theil dagegen ist der Inhaltsstrich der Verneinung von A. Ohne den Urtheilsstrich wird hier so wenig wie anderswo in der Begriffsschrift ein Urtheil gefällt.

⎮⨪ A : (heute: ¬ A)

fordert nur dazu auf, die Vorstellung zu bilden, dass A nicht stattfinde, ohne auszudrücken, ob diese Vorstellung wahr sei.

Die Funktion (Allquantor, Anm. d. Autors)

§ 9. […] Wenn in einem Ausdrucke, dessen lnhalt nicht beurtheilbar zu sein braucht, ein einfaches oder zusammengesetztes Zeichen an einer oder an mehren Stellen vorkommt, und wir denken es an allen oder einigen dieser Stellen durch Anderes, überall aber durch Dasselbe ersetzbar, so nennen wir den hierbei unveränderlich erscheinenden Theil des Ausdruckes Function, den ersetzbaren ihr Argument.