Die Exzentrizität der menschlichen Natur

Aussenwelt
Innenwelt
Mitwelt

Plessner, H. (1928 / 1975). Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin, New York: Walter de Gruyter. S.293.

2. Außenwelt, Innenwelt, Mitwelt
Wenn der Charakter des Außersichseins das Tier zum Menschen macht, so ist es, da mit Exzentrizität keine neue Organisationsform ermöglicht wird, klar, daß er körperlich Tier bleiben muß. Physische Merkmale der menschlichen Natur haben daher nur einen empirischen Wert. Mensch sein ist an keine bestimmte Gestalt gebunden und könnte daher auch (einer geistreichen Mutmaßung des Paläontologen Dacque zu gedenken) unter mancherlei Gestalt stattfinden, die mit der uns bekannten nicht übereinstimmt. Gebunden ist der Charakter des Menschen nur an die zentralistische Organisationsform, welche die Basis für seine Exzentrizität abgibt. In doppelter Distanz zum eigenen Körper, d. h. noch vom Selbstsein in seiner Mitte, dem Innenleben, abgehoben, befindet sich der Mensch in einer Welt , die entsprechend der dreifachen Charakteristik seiner Position Außenwelt, Innenwelt und Mitwelt ist. In jeder der drei Sphären hat er es mit Sachen zu tun, die als eigene Wirklichkeit, in sich stehendes Sein ihm gegenübertreten. Alles ihm Gegebene nimmt sich deshalb fragmentarisch aus, erscheint als Ausschnitt, als Ansicht, weil es im Licht der Sphäre, d. h. vor dem Hintergrund eines Ganzen steht. Dieser Fragmentcharakter ist wesensverknüpft mit der Eigengegründetheit des jeweiligen Inhalts, mit dem, daß er ist. Das von Dingen erfüllte Umfeld wird die von Gegenständen erfüllte Außenwelt, die ein Kontinuum der Leere oder der räumlich-zeitlichen Ausdehnung darstellt. Unmittelbar bezogen auf die Körpergegenstände sind die Leerformen Raum und Zeit, sofern die Gegenstände in ihren Grenzen Seiendes manifestieren, Manifestationsweisen des Nichts. (Der alte Kampf um Existenz oder Nichtexistenz des leeren Raumes soll mit diesem Satz noch nicht wieder beschworen werden. Ebensowenig lassen sich aber zu seiner Stützung oder Widerlegung physikalische oder erkenntnistheoretische bzw. metaphysische Thesen heranziehen. Er faßt nur einen rein anschauungsmäßigen Tatbestand in’s Auge. Das pure Wo und Wann der Erfüllbarkeit durch Seiendes ist in eben dieser Beziehung sein reiner Kontrast oder das Nichtsein —, mögen Physiker oder Metaphysiker, darüber notwendigerweise hinausgehend, die ganze Vorläufigkeit solcher Bestimmung aufdecken.) Dinge in einer homogenen Sphäre beliebig möglicher Bewegungen, wie sie das richtungsrelative Raum – Zeitganze bedeutet, bestimmen eine Situation, welche der Position des exzentrischen Organismus streng entspricht . Ist dieser außerhalb des natürlichen Ortes, außer sich, nichtraumhaft, nichtzeithaft, nirgends gestellt, auf Nichts gestellt, im Nichts seiner Grenze, so steht auch das Körperding der Umwelt „in“ der „Leere“ relativer Örter und Zeiten. Und der Organismus, kraft seiner Exzentrizität, ist sich selbst nur ein solches Körperding in der Umwelt an einer bestimmten Stelle zu einer bestimmten Zeit, die mit jeder anderen Stelle dieses Kontinuums der Leere vertauscht werden kann.