Drei Rollen in einer Person

Ich
Prozeßgegner
Richter

Cicero, Marcus Tullius/ Nüßlein, Theodor (-55 / 2007). De oratore – Über den Redner. Düsseldorf: Artemis & Winkler. S.177.

Ich für meine Person bemühe mich gewöhnlich darum, dass jeder mich selbst über seine Angelegenheit informiert und dass niemand anderes anwesend ist, damit er umso freimütiger spricht. Gewöhnlich vertrete ich dabei den Standpunkt des Prozessgegners, damit er seinen eigenen vertritt und alles offen vorbringt, was er sich über seine Angelegenheit gedacht hat. Und so übernehme ich, wenn er weggegangen ist, in höchster Gemütsruhe drei Rollen in einer Person: meine eigene, die des Prozessgegners und die des Richters. Ist ein Gesichtspunkt von der Art, dass er mehr Unterstützung als Nachteil bringt, entscheide ich mich dafür, ihn in der Rede vorzubringen; worin ich mehr Negatives als Positives finde, das lasse ich ganz weg und verwerfe es. So erreiche ich, dass ich eine Zeit lang nachdenke über das, worüber ich reden will, und zu anderer Zeit rede. Diese beiden Dinge tun die meisten im Vertrauen auf ihre Begabung gleichzeitig; aber sicher würden eben diese Leute um einiges besser reden, wenn sie glaubten, sie müssten sich zuerst Zeit zum Nachdenken und hierauf zum Reden nehmen.