Musikalische Kompositionslehre

Harmonielehre
Kontrapunkt
Formenlehre

Schönberg, Arnold (1911 / 1922). Harmonielehre. Wien: Graphische Verlagsanstalt Paul Gerin. S.8.

Man teilt den Stoff der musikalischen Kompositionslehre gewöhnlich in drei Gebiete: Harmonielehre, Kontrapunkt und Formenlehre. Es ist dann:

Harmonielehre: Die Lehre von den Zusammenklängen (Akkorden) und ihrer Verbindungsfahigkeit mit Rücksicht auf ihre architektonischen, melodischen und rhythmischen Werte und Gewichtsverhältnisse.

Kontrapunkt: Die Lehre von der Stimmführungskunst mit Rücksicht auf motivische Kombination (und eventuell von den ›kontrapunktischen Formen‹).

Formenlehre: Disposition fur den Aufbau und die Entwicklung musikalischer Gedanken.

Diese Einteilung hat den großen Vorzug, daß sie die gesonderte Betrachtung der Faktoren ermöglicht, deren Zusammenwirken die musikalische Kompositionstechnik ausmacht. Aber die Notwendigkeit jedes Stoffgebiet in sich selbständig auszubilden erzeugt eine zu weitgehende Trennung. Dadurch verlieren die Teile ihre Beziehungen untereinander, jene Affinität, die die Wiedervereinigung zum gemeinsamen Hauptzweck herbeiführen soll: Harmonielehre und Kontrapunkt haben vergessen, daß sie mit der Formenlehre zusammen Kompositionslehre sein müssen, und der Schüler, der durch die Harmonielehre harmonisches, durch den Kontrapunkt polyphones Denken und Erfinden erlernt haben sollte, steht ohne Hilfe vor der Aufgabe, die erworbenen Einzelkenntnisse zu verbinden und sie dem Hauptzweck nutzbar zu machen.