Musikalische Parameter

Tonhöhe
Tondauer
Schallstärke

Klebe, Giselher (1955). Erste praktische Arbeit. In: die reihe. Bd. 1. Elektronische Musik. Wien, Zürich, London: Universal Edition. S.20.

Im Februar 1955 kam ich zum erstenmal zur praktischen Arbeit mit der elektronischen Klangmaterie im Studio für elektronische Musik des Kölner Rundfunks. Trotz der musikalischen Spekulationen, die ich vor dieser praktischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung anstellte, war meine erste spontane Empfindung das Angesprochensein eines Spieltriebs, der stets bei der Verbindung von künstlerischen mit technischen Elementen in mir entsteht. Diese musikalisch-emotionelle Reaktion ist ähnlich der Anregung, die in dem Komponieren für bestimmte technische Voraussetzungen irgendwelcher Instrumente liegt, oder dem Grad des Spieltriebs in der scheinbar rein äußerlichen, aber stets mit dem gestaltungsmäßigen Vorgang eng verknüpften Bewußtheit einer ganz bestimmten Notation zum Ausdruck kommt. So empfand ich von Anfang an ein lebhaftes lnteresse fur alle technischen Vorgänge, die ich dank einiger Vorkenntnisse rasch verstand und die meine Phantasie in starkem Maße anregten. Diese Anregungen traten nun mit den Reflexionen, die ich vor der praktischen Arbeit mit der elektronischen Musik hatte, in enge Wechselwirkung. Das Ergebnis war, daß mich die rein akustischen Experimente der ersten Tage nicht mehr allein befriedigten; sie wurden sofort an ein bestimmtes vorgefaßtes musikalisches Geschehen geknüpft, um ihren kompositorischen Wert für mich zu prüfen. Dieses erste Er-Hören und Experimentieren nach einer bestimmten musikalischen Vorstellung war für mich voller Überraschungen und Anregungen. Es wurde dadurch eine ganze Reihe neuer Fragen der kompositorischen Gestaltung aufgeworfen, die jedoch keine grundsätzliche Veränderung meiner stilistischen und handwerklichen Ansichten brachten. Sie wurden aber durch die oft ganz anders als in der instrumentalen und vokalen Musik gelagerten Probleme wesentlich bereichert. Zum Beispiel standen meine Konsonanz- und Dissonanzempfindungen oft völlig konträr zu meinen bisherigen Erfahrungen in der instrumentalen oder vokalen Musik; oder es zeitigten Änderungen eines der drei Parameter (Tonhöhe, Tondauer, Schallstärke) bei den gleichbleibenden restlichen zwei Parametern ein völlig neues komplexes Klangbild, das von der bisherigen Erfahrung aus nicht vorherzusehen war. Von größtem lnteresse waren auch für mich die Ergebnisse rhythmischer Versuche. Vor diesen Versuchen hatte ich angenommen, man könne komplizierte rhythmische Folgen, die die Geschwindigkeitsgrenze des auf einem Instrument manuell Ausführbaren überschreiten, in der elektronischen Musik realisieren. Ich mußte aber zu meiner Überraschung feststellen, daß die Hörgrenze, an der die akustische Unterscheidung rhythmischer Werte aufhört, sich ungefähr mit der Grenze des manuell Ausführbaren deckt. Natürlich kann man bei der Realisation rhythmischer Strukturen in der elektronischen Musik einen Genauigkeitsgrad festlegen, der in der instrumentalen Musik nur annähernd erreicht werden kann. Allein diese Gegebenheiten der elektronischen Musik, die in sich noch weitgehende veränderliche Feinstrukturen aufweisen, stellen eine große Erweiterung der bisherigen kompositorischen Möglichkeiten dar, deren Radius ganz neue hörpsychologische Wirkungen erschließt. Die stärkste Erkenntnis aber, die ich bei der praktischen Auseinandersetzung mit der elektronischen Klangmaterial hatte, war die Möglichkeit, das so genannte wohl-temperierte System von 12 Halbtönen in der Oktave zu verlassen und Tonsysteme zu bilden, die völlig neue und typische elektronische Klangstrukturen und Formkonstruktionen zu schaffen erlauben.