Artes liberales

Grammatik
Rhetorik
Logik

Leff, Gordon (1993). Das Trivium und die drei Philosophien. In: Rüegg, W. (1993). Geschichte der Universität in Europa. Band I. München: Verlag C.H. Beck. S.279.

Die artes liberales
im Bildungswesen des Mittelalters

Die Universitäten des Mittelalters gaben der antiken Vorstellung einer Hierarchie des Wissens institutionelle Gestalt. Platon – im 2., 3. und 7. Buch des «Staates» – und Aristoteles – im 7. und 8. Buch der «Politik» – unterschieden den Elementarunterricht in Grammatik, Literatur, Musik, Arithmetik vom höheren Studium der Mathematik und schließlich der Philosophie, deren Gegenstand, die Weisheit, die höchste Stufe des Wissens sei. Die artes liberales, die «freien Künste», als Bildungsfächer für den freien Mann gingen in das römische Bildungswesen ein als Vorbildung für Rechtsstudien und öffentliche Ämter. Sie wurden vom Mittelalter übernommen und vor allem durch Augustin der christlichen Lehre angepaßt, auf die Heilige Schrift als Quelle der christlichen, auf dem Glauben und der Liebe Gottes gegründeten Weisheit ausgerichtet. Als die Universitäten im 12. Jahrhundert entstanden, hatten sich zur Theologie, dem Gipfel menschlichen Wissens, die stärker praxisorientierten Wissenschaften des Rechts und der Medizin gesellt. Die artes unterschieden sich von den höheren Wissenschaften in verschiedener Hinsicht.
Erstens waren sie eine heterogene Ansammlung von Fächern, deren einzige Gemeinsamkeit in ihrer propädeutischen Aufgabe bestand. Seit dem Altertum waren sie eingeteilt in die drei sprachlichen Fächer der Grammatik, Rhetorik und Logik, das trivium, den dreiteiligen Weg zur Weisheit, und das quadrivium, die vier mathematischen Fächer der Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Diese Anlage der artes liberales ging zwar in die Universitäten ein, doch entsprach sie von der Mitte des 13. Jahrhunderts an nicht mehr dem Inhalt der entsprechenden Vorlesungen. Sie wurde ergänzt oder ersetzt durch andere Klassifikationen, vor allem, indem man die drei Philosophien, die Naturphilosophie, Ethik und Metaphysik, die durch das Trivium und Quadrivium nicht abgedeckt waren, hinzufügte. Zweitens entwickelten sich gerade wegen ihrer Zusammenhanglosigkeit die verschiedenen artes innerhalb des Triviums und Quadriviums und zwischen den beiden Gruppen in unterschiedlicher Weise. Im großen und ganzen wurde bis in die 1230er Jahre das Trivium intensiver studiert als das Quadrivium; dies blieb in Paris auch später die Regel. Gleichzeitig verdrängte in den beiden führenden Universitäten des Nordens, Paris und Oxford, innerhalb des Triviums die Logik die Rhetorik. Diese sank zu einem Anhängsel der Grammatik herab, die ihrerseits sehr stark von der Logik geprägt wurde. Südlich der Alpen, insbesondere in Bologna und Padua, war die Rhetorik führend und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Bologna geradezu alleinherrschend. Drittens wurde der unterschiedliche Rang der verschiedenen artes im wesentlichen durch die Beziehung zu den höheren Fakultäten bestimmt. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts hatten Paris und in etwas geringerem Umfang Oxford und Cambridge — neben den Dom- und Ordensschulen — praktisch das Monopol des Theologiestudiums. Dieses Monopol wurde von den Päpsten geschützt, indem sie den andern Universitäten während langer Zeit keine theologischen Fakultäten bewilligten. Da bis zum 14. Jahrhundert zur theologischen wie zu den anderen höheren Fakultäten üblicherweise nur Absolventen einer Artistenfakultät zugelassen wurden, gab es zwischen den beiden Fakultäten enge Beziehungen. In allen drei Universitäten, vor allem in Paris, war die Artistenfakultät stark philosophisch ausgerichtet. Logik herrschte im alten Trivium vor, und die drei Philosophien ergänzten das alte Quadrivium in unterschiedlicher Akzentuierung: in Paris lag das Schwergewicht auf der Ethik und Metaphysik, in Oxford auf der Naturphilosophie.