087 ›Eigenschwingungen‹ oder endogene Bewegungen und Störungen

Setzen wir nun erstens den Fall, daß alle Daten konstant bleiben. Wenn dann zu Beginn des von uns betrachteten Zeitraums Gleichgewicht im statischen Sinne vorhanden ist, so wird die Wirtschaft in diesem Zustande verharren. Das ist eben die Bedeutung des Begriffes Gleichgewicht. Falls wir aber nicht von einer Gleichgewichtslage ausgehen, werden trotz der Unverändertheit der Daten Bewegungen stattfinden. Solche bei Konstanz der Daten auftretenden Bewegungen nennen wir endogene Bewegungen. Mit einem Terminus aus der Physik könnte man auch von ›Eigenschwingungen‹ sprechen. Sie sind durch die Struktur des Systems bestimmt, d. h. durch den Wert der darin auftretenden Konstanten. Soweit diese Konstanten und die Anfangslage des Systems uns bekannt sind, können wir diese Bewegungen voraussagen oder extrapolieren. Voraussetzung dafür ist aber eben, daß man von der Konstanz der als Konstanten angenommenen Größen überzeugt sein darf.

Anders verhält es sich, wenn auch die Daten sich ändern. Das kann einmal in regelmäßiger Weise geschehen — wie z. B. die Saisonänderungen oder gar die Sonnenfleckenänderungen. Dann können wir sie in unser System mit aufnehmen — als Variabeln im engern Sinne betrachten. Allerdings treiben wir dann nicht mehr nur Ökonomie, sondern beziehen weitere Wissenschaftsbereiche ein. Entscheidend sind aber die — soweit wir wissen — unregelmäßigen Datenänderungen, die als unregelmäßige ›Impulse‹ — um wieder einen physikalischen Ausdruck zu benutzen — auf das System einwirken. Beispiele sind die Ernteausfälle, die ›spontanen‹ neuen Erfindungen, viele politische Maßnahmen, oft auch größere Streiks und schließlich Kriege. Vielleicht wird es einmal möglich sein, derartige Ereignisse teilweise in das System einzubeziehen; jetzt ist, für die Praxis der Konjunkturforschung, deren Auftreten noch als unregelmäßig zu betrachten. Diese unregelmäßigen Datenänderungen greifen jeweils in die Eigenschwingung des Systems ein, das eine Mal wird
z. B. das Produktionsvolumen schneller zunehmen, das andere Mal langsamer, wieder ein anderes Mal wird es schneller abnehmen, als es im ungestörten Ablauf der Fall gewesen sein würde. Das sind die unvorhersagbaren Bewegungen, die den Konjunkturforscher seiner Prophetenrolle entkleiden. Ein gewisser Trost ist es nur, daß man im voraus nicht sagen kann, ob diese ›Störungen‹ in der einen oder andern Richtung auftreten werden, und daß daher gewissermaßen die Extrapolation der Eigenschwingung die ›mittlere Bewegung‹ des gestörten Systems ergibt. In diesem Sinne ist auch der Satz wichtig, daß die von zufälligen Störungen verursachten Bewegungen gewisser einfacher Systeme eine Quasiperiodizität aufweisen mit einer mittleren Periode, die der des ungestörten Systems gleich ist.

Die Erforschung der Eigenbewegung hat also doch eine Berechtigung. Die Konjunkturforschung zerfällt damit in zwei Teile: die schnelle Informierung über Art und Größe der unregelmäßigen Störungen und das Studium der Eigenbewegungen. Dasselbe gilt für die Probleme der Konjunkturpolitik. Für die Bewegung des Systems bedeutet es keinen Unterschied, ob die Störung durch eine Naturkraft, durch menschliche Kraft ohne konjunkturpolitisches Ziel oder im Sinne eines bewußten Eingriffs durch menschliche Kraft mit einem solchen Ziel verursacht ist. Die Konjunkturpolitik ist der genannten Einteilung zufolge zu unterscheiden in Konjunkturpolitik, die die Eigenbewegung zu ändern bestrebt ist, und Konjunkturpolitik, die etwa die Stöße durch kompensierende Maßnahmen unschädlich machen will. Die Beziehungen zwischen den beiden Formen seien hier außer acht gelassen. Festgestellt sei hier nur, daß die Kenntnis der Eigenbewegungen für die Konjunkturpolitik sehr wichtig ist.