Erläuterungen zur Assoziativmaschine

Die Matrix als Versuchung | Abenteuer der Ideen
In den Wissenschaften taucht immer wieder das Problem auf, dass sehr spezifische Tatsachen auf sehr allgemeine Umstände bezogen werden (müssen). Wenn beispielsweise Fragen zu den Folgen sinkender Arbeitsproduktivität oder den Auswirkungen von Arbeitsautomatisierung auf DIE GESELLSCHAFT behandelt werden, dann entstehen Modelle, die mit suggestiver Kraft sinnlich unbestimmbare Erkenntnisgegenstände in eine Art parapysikalischen Zusammenhang einbetten. Obschon es dafür jeweils gute Gründe geben mag (siehe z. B.: »Soziophysik«), möchte ich mit meinen Assoziativmaschinen die übersummativen Effekte dieser Verfahrensweise zur Diskussion stellen. Hierfür präge ich den Modelllen neue Strukturen auf und entwickle eine Logik des Entdeckens, die dem Ausgangsmaterial — in seiner spezifischen Denkform — entspricht. So vermischen sich verschiedenartige Erkenntnisgegenstände und eröffnen der Erfahrung neue Interpretationsspielräume (schemes of thought).

Meine Maschinen sind einerseits der historischen Gebundenheit dedizierter Wahrheitsaussagen verpflichtet, gleichzeitig unterstehen sie den Traditionen der »Anti-Kunst« (allg. Moderne), der »‚Pataphysique« (Alfred Jarry), der »Wunschmaschinen« (Deleuze & Guattari) und der »Weltmaschine« (Ferentschik). Unter einer »Assoziation« verstehe ich dabei den fortlaufenden Prozess der Verbindung der Wahrnehmungsinhalte. Die »Maschine« dient als Metapher für die dynamischen Zusammenhänge, die durch eine Relationierung einzelner sprachlicher und / oder zeichenhafter Komponenten oder ganzer Modelle entstehen (vgl. Konersmann 2008: 224). Mit meinen Assoziativmaschinen soll die Matrix als Denkform erprobt werden.

Bildlegende: „Schaubild 4. Die Original- Modell-Abbildung. Einzelheiten im Text.“ In: Stachowiak, H. (1973). Allgemeine Modelltheorie. Wien / New York: Springer. S. 157.
Die Original-Modell-Abbildung. In: Stachowiak, H. (1973). Allgemeine Modelltheorie. Wien / New York: Springer. S. 157.

Die Modelle wähle ich aus und präpariere sie aus den mir vorliegenden Quellen. Es handelt sich dabei nicht um zusammengegoogelte Massenware, vielmehr sind es Fundstücke, die mir auf meinem individuellen Bildungsweg begegnet sind. Bei der Auswahl ist weiter entscheidend, dass dem Betrachter Sachverhalte, Sachzusammenhänge oder Verhältnismäßigkeiten zur Anschauung gebracht werden, für die es real keine Anschauung gibt.  

Funktion

Die Assoziativmaschinen versammeln Modelle und bilden daraus neue Modelle. In der Auseinandersetzung zwischen Betrachter*in und Betrachtetem entstehen dann neue Assoziationen, eigentümliche Modelle: Modelle werden hier auf sich selbst angewendet (Rekursion) und bringen neue Modelle hervor, Abstraktion folgt auf Abstraktion, Vereinfachung auf Vereinfachung.

Francisco de Goya.: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (El sueño de la razón produce monstruos), 1798.
Francisco de Goya.: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (El sueño de la razón produce monstruos), 1798.

Die Bedienung meiner Maschinen erlaubt unterschiedliche Verbindungstypen, rationale aber eben auch solche, die Gloy als bewußte, gewollte und begründete, kurzum als »kalkulierte Absurdität« bezeichnet hat (Gloy 1999: 243). Strukturelle und / oder formale Ähnlichkeiten zwischen dem Modelltyp und der Assoziativmaschine — ihre Selbstähnlichkeit — ist ein beabsichtigter Effekt. In der Sammlung triadischer Modelle bestätigt sich diese Selbstähnlichkeit beispielsweise im augenblicklichen Erscheinen einer neuen, bisher ungenannten Triade, bestehend aus Assoziation, Bisoziation und Dissoziation (AM III/ T). In der »chaotischen Mannigfaltigkeit« (Schmitz) kollidierender Sachzusammenhänge konstituiert die AM III/ P ein »Vixierbild«: Die Zusammenstellung kybernetischer Modelle provoziert die übersummative Vorstellung eines regel- und steuerbaren Expertensystems mit Namen »Erde«, das mit seinen zirkulären Energie-, Material- und Informationsflüssen die ökologischen und zivilisatorischen Potentiale regelt.

Die Maschinen AM III/ P und  AM III/ T beherrschen drei Verbindungstypen:

  1. Assoziation
    Um die Assoziation kurz und knapp zu erläutern, zitiere ich David Hume, obwohl in der Zwischenzeit so viel mehr dazu gesagt wurde (Hume 1748: 23): »Für mich scheint es nur drei Prinzipien der Verbindung zwischen Ideen zu geben, nämlich Ähnlichkeit, zeitliche oder örtliche Nähe und Ursache / Wirkung
  2. Bisoziation
    Arthur Koestler schrieb darüber erstmals (Koestler 1964: 96): »Matrizen variieren – von vollständig automatisierten Fähigkeiten bis hin zu solchen mit einem hohen Grad an Plastizität; aber selbst letztere werden durch Spielregeln gesteuert, die unterhalb der Bewusstseinsebene funktionieren. […] Der schöpferische Akt ermöglicht es dem Menschen, durch die Verknüpfung bisher unverbundener Erfahrungsdimensionen eine höhere Ebene der geistigen Evolution zu erreichen. Es ist ein Akt der Befreiung – die Überwindung der Gewohnheit durch Originalität.«
  3. Dissoziation
    Jeder Mensch kann Eindrücke ignorieren oder ausblenden, die sie / er als störend, überfordernd oder unwichtig erlebt. Imaginationen oder ein verändertes Gefühl von Raum und Zeit sind Dissoziationen, über die ich hier spreche. Pathologische Dissoziationen sind nicht gemeint und nicht beabsichtigt. Der Philosoph, Psychiater und Psychotherapeut Pierre Janet beschrieb das Krankheitsbild der Dissoziation bereits im 1886 in seinem Aufsatz: »L’anesthéàie systématisée et la dissociation des phénomènes psychologiques« (Janet 1889: 15)

Geschichte

Modell der nichtdigitalen Lernmatrix, Karl Steinbuch
Modell der nichtdigitalen Lernmatrix, Karl Steinbuch (vgl. Steinbuch/Frank 1961: 120)

Der Nachrichtentechniker Karl Steinbuch beschrieb 1961 eine analoge Lernmatrix, die eine korrekte Zuordnung von Bedeutungen zu einem Satz binärer Eigenschaften auch dann noch zuläßt, wenn eine Störung dieses Eigenschaftssatzes vorliegt (vgl. Steinbuch / Frank 1961: 117). Die technische Idee von Karl Steinbuch hat sich weiterentwickelt und wird in den Informationswissenschaften bis in unsere Zeit verfolgt (vgl. Bentz / Dierks 2013). Diese Idee einer fehlertoleranten Lernmatrix habe ich dann mit zwei weiteren Experimentalmaschinen verknüpft: Es handelt sich um die ikonografische Matrix, die der Kunsthistoriker Aby Warburg 1928 mit seinen Mnemosyne Bilderreihen entwickelt hat sowie um eine neuronale Matrix (Perceptron), die der Psychologe Frank Rosenblatt zur Nachbildung von Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Schlußfolgerungsprozessen entwickelt hat — eine Art mechanisches Gehirn.

Perceptron MARK 1 (Bild Getty Images)
Perceptron MARK 1 (Getty Images)

Diese drei historischen Entwicklungen aus der Nachrichtentechnik, der Kulturtheorie und der Psychologie haben das Experimentaldesign für meine Assoziativmaschinen geprägt. Meine Arbeitsweise möchte ich als künstlerische Forschung bezeichnen. Bis heute konnte ich zwei Experimente durchführen.

Literatur

    • Gloy, Karen. Kalkulierte Absurdität — Die Logik des Analogiedenkens. In: Gloy, Karen (Hrsg.)(1999). Rationalitätstypen. Freiburg i. Br., München: Verlag Karl Alber.
    • Konersmann, Ralf (Hrsg.)(2008). Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S.224
    • Bentz, Hans-Joachim/ Dierks, Andreas (2013). Neuromathematik und Assoziativmaschinen. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.
    • Steinbuch, Karl/ Frank, Helmar (1961). Nichtdigitale Lernmatrizen als Perzeptoren. Kybernetik, Band  1(3), 117-124
    • Hume, David (1748 / 2007). An Enquiry concerning Human Understanding. Oxford: Oxford University Press. S.23
    • Koestler, Arthur (1964). The Act of Creation. London: Hutchinson & Co. S. 96.
    • Janet, Pierre (1889). L’automatisme psychologique Essai de psychologie expérimentale sur les formes inférieures de l’activité humaine. Paris: Félix Alcan. S.15.