029 Analytisches Modell des politischen Systems

Im einzelnen unterscheidet nun unser Modell, wie die Skizze verdeutlichen soll, das politische System (im Rechteck) von seiner Umwelt (in Kreisen). Zum politischen System gehören die durch eine nicht ganz eindeutige Grenzlinie getrennten Teilsysteme Politik und Verwaltung und ferner die damit korrespondierenden Publikumsrollen, die danach geteilt sind, ob sie den Verkehr mit der Politik oder den Verkehr mit der Verwaltung regeln. Die vertikale Achse des politischen Systems bezeichnet also eine bis ins Publikum einschneidende Trennung von Politik und Verwaltung, die horizontale Achse dagegen eine Trennung der an fremden Interessen orientierten, zumeist hauptberuflichen Arbeits- oder Leistungsrollen in Politik und Verwaltung von den an eigenen Interessen orientierten, nur gelegentlich wahrgenommenen politisch-administrativen Rollen des Publikums. Stellt man diese beiden Einteilungsgesichtspunkte einander gegenüber, so ergeben sich vier Kombinationsmöglichkeiten, die sich als Teilsysteme des politischen Systems deuten lassen: hauptberufliche Politik, hauptberufliche Verwaltung, politikbezogene Publikumsrollen und verwaltungsbezogene Publikumsrollen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Teilsystemen müssen als variabel gedacht werden je nachdem, welches Gewicht den einzelnen Teilen im Prozeß der Reduktion von Komplexität zukommt. Das Modell hat daher Platz für sehr verschiedene Ausführungen. Es kann zum Beispiel Fälle geben, in denen die hauptberuflichen Rollen die Publikumsrollen so zurückdrängen, daß ihnen kaum noch Bedeutung bleibt. Es wird dann typisch notwendig sein, daß die Funktion der Publikumsrollen, zum Beispiel Artikulation von Interessen, in Politik und Verwaltung miterfüllt werden muß. Sehr oft findet man namentlich in Entwicklungsländern Beispiele dafür, daß die Verwaltungsbürokratie ein erhebliches Übergewicht besitzt und die Politik auf ein Minimum reduziert. Auch das führt dazu, daß das expansive Teilsystem sich mit den Funktionen des zurückgedrängten belasten und vielleicht überlasten muß, daß also die Verwaltung in diesem Falle legitime Macht nicht ohne weiteres voraussetzen kann, sondern durch Übernahme der politischen Funktion mit aufbauen muß. Ein drittes Beispiel für solche Verschiebungen mit der Folge, daß Struktur und Funktion nicht mehr in Einklang stehen, wäre der Fall, daß die Interessenvertretung sehr viel größere Bedeutung besitzt als die Wahl. Auch dann ist typisch damit zu rechnen, daß die Interessen auf dem Weg zu den zentralen Entscheidungsorganen des Systems im Prozeß der Vertretung selbst generalisiert werden müssen, daß also die Interessenvertretung jene Funktion miterfüllen muß, die sie der politischen Wahl nicht läßt. Die Differenzierung der Umwelt, die das Modell berücksichtigt, entspricht seiner Innendifferenzierung. Das Modell geht mithin von einer Korrespondenz zwischen Innendifferenzierung und Umweltdifferenzierung aus. Das politische System sieht seine Umwelt nicht »objektiv« (das würde heißen übermäßig komplex), sondern »subjektiv«, nämlich so, wie es seine interne Struktur der Informationsverarbeitung vorzeichnet.[4] Subjektiv heißt natürlich nicht willkürlich. Der Umweltentwurf muß Sinn geben, muß das System in die Lage versetzen, reale Komplexität zu reduzieren, weil sonst das System nicht sinnvoll und selbsterhaltend handeln kann. Die Hauptunterscheidung in der Umwelt unseres Modells stellt darauf ab, ob die Umweltrollen durch Persönlichkeiten mit dem politischen System verknüpft sind (und es auf diese Weise beeinflussen können) oder nicht. Fremde politische Systeme sind normalerweise vollexterne Systeme, es sei denn, daß das politische System, von dem wir ausgehen, kein souveräner Staat ist. Die Umwelt der eigenen Gesellschaft des politischen Systems reicht dagegen mehr oder weniger in das politische System hinein dadurch, daß die Rollen des politischen Systems von Trägern wahrgenommen werden, die auch andere gesellschaftliche Rollen ausführen müssen. Dies ist das schon oft erwähnte Problem der »gesellschaftlichen Ausdifferenzierung« des politischen Systems. Je stärker diese Umweltrollen mit Rollen im politischen System verknüpft sind, desto geringer ist die Ausdifferenzierung, desto diffuser ist die Struktur der Gesellschaft. Je wirksamer die Schranken sind, die in den einzelnen Personen politisch-administrative Rollen von anderen trennen, desto weiter geht die Ausdifferenzierung, desto autonomer kann das politische System operieren. [5]