098 Das Prinzip der Vervollständigung von außen (BLACK BOX)

Überlegungen, wie sie Gelehrte wie Gödel zum Problem der Unvollständigkeit formalisierter Sprachen angestellt haben, sind auch auf einem anderen, ganz neuen Feld aufgetaucht. Was ist der Ort einer mathematischen Untersuchung, die sich, statt eigentlich Mathematik zu betreiben, die Frage stellt: Was kann in der Mathematik überhaupt ausgesagt werden? Dieses neue Gebiet ist von einem seiner ersten Vertreter, nämlich von Hilbert, als Metamathematik bezeichnet worden — oder als Beweistheorie. Der zweite der beiden Termini erklärt sich selbst, denn die ganze Problematik hat sich aus Fragen nach der ›Beweisbarkeits ergeben. Der Begriff Metamathematik dagegen bedarf der Erläuterung; er besagt, daß die Sprache, in der wir von einem Satz behaupten, er sei unentscheidbar, nicht dieselbe Sprache ist, derer sich der Satz selbst bedient; sie ist vielmehr eine Sprache höherer Ordnung, die wir als Metasprache bezeichnen.

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Mit Hilfe dieses praktischen Beispiels kommen wir zur Formulierung eines Prinzips der angewandten Kybernetik. Dem Unvollständigkeitstheorem von Gödel entsprechend, besagt dieses Prinzip, daß jede Kontrollsprache letzten Endes ihrem Zweck nicht genügen kann, daß sich diese Unzulänglichkeit aber durch die Einschaltung eines Schwarzen Kastens in den Regelkreis beheben läßt. Die Funktion des Schwarzen Kastens besteht darin, auf die Entscheidungen einer höheren Sprache zurückzugreifen und damit die Unzulänglichkeiten der ursprünglichen Entscheidungsmaschine auszugleichen. Diese höhere Sprache läßt sich definitionsgemäß nicht in der Kontrollsprache ausdrücken. Soweit ich sehe, ist dieses Prinzip der angewandten Kybernetik bisher noch nicht wirklich zur Geltung gekommen. Allenfalls hat man von ihm Gebrauch gemacht bei Regelsystemen auf der Betriebsebene, wie wir es hier beschrieben haben. Ich bin indessen fest davon überzeugt, daß dieses Prinzip auf die Konstruktion eigentlich kybernetischer Maschinen angewandt werden muß, die in den Entscheidungsprozeß der Unternehmensleitung einbezogen werden sollen. Ich nenne dieses Prinzip Vervollständigung von außen, weil es eine praktische Methode formuliert, mit der man sich vor dem Unvollständigkeitstheorem schützen kann. Die unentscheidbare Sprache wird durch einen, seinem Wesen nach nicht determinierbaren Schwarzen Kasten in der Wirklichkeit, die diese Sprache zu beschreiben sucht, sozusagen ›verkeilt‹.

Wenn dieser Ansatz schwer verständlich sein sollte, kann man zur Erläuterung eine Analogie aus der elementaren Logik heranziehen. Nehmen wir einmal an, ich kenne die Bedeutung des Wortes ›Kubus‹ nicht. Ich greife zu einem Lexikon und erfahre, daß das Wort ›Würfel‹ bedeutet. Aber auch dieses Wort ist mir nicht geläufig, und ich sehe ein weiteres Mal im Lexikon nach, diesmal unter ›Würfel‹. Hier stoße ich abermals auf ›Kubus‹. Das ist ein Kreisweg: die Wörter sagen mir gar nichts. Der Zirkel der Definition muß aufgebrochen werden — irgend jemand zeigt mir einen Bauklotz und sagt: »Das ist ein Würfel oder ein Kubus.« Ein solches Verfahren nennen wir Realdefinition. Die Sprache wird in der Wirklichkeit ›verkeilt‹. Nach dem gleichen Schema werden die Sachverhalte der industriellen Realität durch das Prinzip der Ergänzung von außen in die unvollständige Kontrollsprache hineingenommen, die diese Sachverhalte beschreiben soll. Wir müssen freilich darauf gefaßt sein, daß das neue Element selbst einer ins einzelne gehenden Definition nicht zugänglich ist. Wir müssen es als Schwarzen Kasten ansetzen.